Tanz mit dem Virus

Über zwei Jahre habe ich versucht, dem Corona Virus zu entfliehen. Ihm zu entgehen. Und während ich vor einem unsichtbaren Feind geflüchtet bin, hat das Virus alles um mich herum und in mir auf den Kopf gestellt. Schonungslos. Die Welt im Juni 2022 war nicht die Welt von Anfang 2020. Sie hatte an so vielen Punkten kaum mehr Gemeinsamkeiten. Keine Beziehung zu einem anderen Menschen, die das Virus nicht irgendwie infiziert hatte, im Guten, sowie im Schlechten. Still und leise. Ohne Husten und Schnupfen. Mal weniger, mal mehr.

Und an dem Punkt, an dem sowieso alles mit dem Virus verseucht war, und die Menschen müde und gleichzeitig gierig waren, fing es an, sich auf den Weg zu machen, und überall zu sein. Einer nach dem anderen wurde "positiv". Als es in meiner Wohnung ankam als Geschenk von Vögeln, war keine Maske mehr genug, um ihn aus dem Weg zu gehen. Es lies mich noch zappeln, wartete, bis meine Hirn vollends weichgekocht war. Um mich dann vor die Frage zu stellen, wo eigentlich meine Verantwortung liegt und wo sie aufhört.

Es war heiss, die erste Hitzewelle des Sommers legte sich über Europa. Und Berlin war mittendrin, die Luft flimmerte. Und ich werde diese Tage nie vergessen. Mit einem dicken Hals loslassen und doch auch irgendwie dem Virus einen Arschtritt verpassen. Das Virus hat viel genommen, aber es hat auch Neues geschaffen, das in dieser Form es wohl nie ohne das Virus gegeben hätte. Die finale Infektion, ein wilder Tanz mit dem Virus.

Danke für nichts, Roni, und Danke für vieles.

Hope you had
a
good time,
too


Gespielt und aufgenommen am: 31.07.2022

Flussverlauf

Dort wo etwas aufhört, fängt etwas Neues an. Und dazwischen liegt eine Reise, ein Weg. Und auf dem Weg, auf der Reise, da kann es durchaus passieren, dass etwas ganz anderes aufhört und etwas anderes neu anfängt. Und das fängt sich gerne an, zu überlagern. Schicht auf Schicht, Wege über Wege, Monate über Monate, Jahre über Jahre. Eine Reise in einer Reise in einer Reise in einer Reise. Leben als fluider Übergang zwischen Ende und Anfang. Und da möchte ich ja eigentlich durchaus gerne denken, dass es alles Kreise sind, die sich schließen werden, Wege, auf die man zurückfindet, die zu Ende gegangen werden können. Das bleibt dann aber doch eher Wunschdenken. Wobei die Frage dann doch angebracht wäre, wo ein Weg eigentlich zu Ende gegangen ist. Wo hört ein Weg auf und wo fängt er an? Wege hören ja auch nicht unbedingt dort auf, wo alles danach aussieht, das der Weg aufhört - ein überwundenes Hindernis weiter sind ganz andere Möglichkeiten. Zäune und Mauern sind nur "Herausforderungen", der Kopf muss einfach weiter denken. So ist es dann doch vielmehr eher ein Fluss, der sich seinen Weg sucht, stetig vorwärts. Aber wann startet eine Reise, und wo hört sie auf? Wie weit kann man rein- und rauszoomen? Ahnenbücher als Blick ins Über, ein Monat im Vergleich ein Blick ins Detail. Dabei kann ein Monat schon eine dermaßen lange Reise, bzw eine unglaubliche Anzahl an verschiedenen Reisen sein.

Mai 2022 würde ich dazu zählen. Ein Lola rennt Monat. Losgelaufen und nicht mehr angehalten (bzw bin ich wahrscheinlich schon in den Monat hinein gerannt, oder mit einer Strömung hineingeflossen). Improvisation ist das Gefühl, sich die ganze Zeit in die Enge zu treiben, um zu sehen, was dann passiert, wie das Verhalten in Situationen, die eine Entscheidung verlangen, sein wird. Und das zu forcieren. Ein stetiges sich Provozieren, ein vor sich hin mäandern. Flüsse fließen nicht gerade, gerade Flüsse sind Erfindungen der Menschen. Inzwischen baut er Mensch begradigte Flüsse wieder zurück und merkt, dass er noch viel zu lernen hat, der Mensch, was die Natur auf dem Wege der Improvisation über eine verdammt lange Zeit herausgefunden hatte.

Mai war eine stetige Dauer Provokation. Ganz am Ende des Monats war ich sogar auf meiner eigenen Beerdigung. Viel weiter kann es der Monat Mai eigentlich nicht schaffen. Wege sind eben auch nicht immer so geradlinig, wie die Annahme so ist. Improvisation ist nicht verkehrt bei nicht vorhersehbaren Wegen. Eigentlich könnte sie grundsätzlich zum Prinzip erhoben werden, wenn sie nur nicht auch so anstrengend wäre. Dafür ist sie immer wieder von sehr kostbaren Momenten der Klarheit geprägt.

Und ich finde, dass aufgenommene Stück Anfang Juni spiegelt das alles recht gut wieder. Das Bild hierzu entstand im Rathaus Mitte. Und auch dieser Weg ins Rathaus erinnerte mich noch die ganze Nacht daran, dass mehr Vertrauen in Improvisation wirklich nicht verkehrt wäre, egal wann, egal in welchem Kontext.

Und nein, Improvisation ist nicht Intuition. Das mag ein erheblicher Anteil sein, aber es ist ein Zusammenspiel, von alldem, was uns als Menschen ausmacht. Und je besser man als Mensch in all den einzelnen Aspekten ist bzw über sie Bescheid weiss, desto besser kann das Improvisieren gelingen. Am Ende mag es nicht verkehrt sein, so gut in etwas zu sein, dass es wieder verlernt werden muss. Improvisation ist an dem Punkt durchaus ein Glasperlenspiel. Und das Spiel wird besser mit offenen Armen und einem offenen Herz begangen. Und man weiss um seine eigenen Grenzen und hat Lust darauf, sich diesen zu stellen.

Es kann gar nicht genug für Improvisation geübt werden. Und das ist kein Widerspruch, nein. Die Kunst liegt am Ende darin, sich immer wieder neu zu überraschen. Im Guten, sowie im Schlechten. Kann ein Fluss einen Fehler machen? Er fliesst einfach, sucht sich seinen weiteren Weg. Und auf seinem Weg ändert sich durchaus auch manch zurück liegendes Stück des Weges. Manch Blockade wird unter- oder überspült. Der Verlauf leicht angepasst. Menschlich gebaute Staudämme bleiben am Ende nur ein Hindernis. Die Illusion, man könnte den Lauf eines Flusses im Guten bestimmen, die bleibt eine Illusion. Es bleibt also die Herausforderung, den Verlauf mit offenen Armen anzunehmen.


Gespielt und aufgenommen am: 05.06.2022

Müde Tanzen

Die Blüte, die man auf dem Bild sieht, strengt sich so sehr an, eine tolle Blüte zu sein, dass sie innerhalb von einem bis zwei Tagen verwelkt. Zurück bleibt eine ganz fest zusammengerollte kleine Kugel auf dem Boden. Das Ganze geht so schnell, dass es ohne Probleme verpasst werden kann. Zufall, wenn man es mitbekommen darf, sogar noch daran denkt, es festzuhalten. Zeuge eines der vielen Mikroorgasmen überall. Wobei man bei Dominik Eulberg wäre. Und dadurch und wieder beim Tanzen. Und von Tanzen ist zur Musik auch nicht mehr weit. Womit ich auch schon im April bin. Die Idee ist ja an sich, 12 Eindrücke zu sammeln, jeden Monat einen, für ein Jahr. Das heisst auch 12 mal sich die Mühe geben, einen Eindruck, einen Moment in sich zu finden. Und am schönsten wäre es natürlich, wenn es 12 unterschiedliche musikalische Eindrücke sind. Also war die Aufgabe an mich vor dem Stück, mich zu trauen, mich von den üblichen Pfaden weg zu trauen. Und ja, manchmal überrascht man sich ja selbst. Das schöne an der Improvisation ist, das auf einmal etwas angeflogen kommt. Das nie vorher da war. Und die Überraschung darüber und die Verwirrung, was die Finger da unter den Augen eigentlich für verrückte Dinge machen. Der Moment, wenn die Finger die Musik tanzen. Und in diesem Fall aber auch hört, wie fremd und daher unsicher der Tanz ist. Tendenziell verkrampft, nicht weich, hart im Anschlag (untermalt von doppelten Kompressor Einsatz und Equalizer). Es gibt dann Momente, Ideen, von denen etwas hängen bleibt. Die sich in den stetigen Fluss einfügen, etwas verdrängen und all die anderen Melodien um sie herum beeinflussen. Und es gibt Ideen und Momente, die so anders und abgefahren sind, dass sie am Ende fast einzigartig bleiben. Diese sind dann, wie die Blüte, einer von den vielen Mikroorgasmen. Und wenn ein Aussenstehender nicht weiss, welchen einzigartigen Moment er beiwohnen durfte, denkt er sich vielleicht: schöne Blüte. Aber halt ne schöne Blüte. Oder, ja, kein schlechtes Stück. Aber wiederholt sich ja die ganze Zeit auch irgendwie. Dabei liegt der schönste und ehrlichste Part in dem Stück recht einzigartig in nicht einmal 10 Sekunden mittendrin - ein kurzer ehrlicher Ausblick mitten im tanzenden Funktionieren. Und dafür, dass ich das da geparkt habe, könnte ich mich schon ein wenig lieb haben. Für den Versuch, eine Idee so stringent versuchen durchzuziehen, auch ein wenig auf die Schulter klopfen. Aber das mag an der Natur der Dinge liegen. Manche Blüten sind so einzigartig, sie sind schon zum verwelken müde, wenn sie ihren prächtigsten Zustand erreicht haben. Aber dafür, dass die Blüte müde ist, schaut sie für diesen einen Augenblick, verdammt gut aus.

Wiederum, jeder hört und siehst etwas anderes. Der Rest bleibt Interpretation. Und was das mit dem April zu tun hat, mit meinem April, das sei dahin gestellt. Tanzen ist Therapie, sagte ein schlauer Mensch, an meinem letzten Geburtstag. Sonnenaufgänge, die durchs milchige Glas in den Raum brechen, lassen all die Staubteilchen müde mitten im Raum tanzen. Ein kurzer Moment, zack, vorbei. Es bleibt: SehnSucht. Und wenn man den Moment eingefangen hat, dann eine Erinnerung.


Gespielt und aufgenommen am: 20.04.2022

Sinnlose Kämpfe

Zeit heilt keine Wunden. Zeit bringt neue Krisen, Kämpfe und Kriege.

Es werden mindestens Narben bleiben. Erinnerungen, und nicht die guten. Leid. Im Großen wie im Kleinen.

Ich frage mich, gab es je die Zeit, in der Zeit die Wunden heilte? Warum existiert dieser Spruch überhaupt? Warum wird nicht gesagt: Wunden vernarben? Und das würde immer noch einen kompletten Raum offen halten. Jede Narbe, die ich trage, ist anders, fühlt sich anders an. Sie werden mit der Zeit unauffälliger, sie verwachsen sich mit der Zeit mit dem Rest um sie heraus, sie werden irgendwie integriert. Aber sie bleiben immer da, werden von den Besitzern gesehen und gespürt, es sind dann doch eher empfindliche Stellen, die sich auch weitaus verletzlicher anfühlen, als der Rest. Manche Narben verheilen nie ganz. Sehr gerne die im Kopf und Herzen. Die Zeit lehrt einen im Idealfall irgendwann, die Narben akzeptieren zu lernen, vielleicht erfüllt die ein oder andere einen sogar mit Stolz, andere dürfen nie auch nur angeschaut werden, müssen im Idealfall so gut wie möglich in ihrer Existenz verdrängt werden. Unser Paket an die nächsten Generationen. Egal ob individuell oder kollektiv.

März 2022. Krieg in Städte, in denen Gedenkorte für Opfer des 2. Weltkrieg erneut im Bombenhagel versinken. Ad hoc werden 100 Milliarden ins deutsche Militär gepumpt. 5 bis 10 Millionen Flüchtlinge. Es ist nicht der erste Krieg in meinem Leben. Aber gefühlt sind wir diesmal unleugbar mittendrin. Zu mindestens medial. Was hat die Zeit in den letzten 20 Jahren, nachdem ich meinen Kriegsdienst verweigert habe, nur an Verirrungen geführt. Und ein Raunen geht durch die deutschen Linken, die in ihren Weltbildern erschüttert sind. Dabei ist es am Ende doch recht einfach: Krieg in nicht Computer Simulations Spiele Situationen erzeugt nur Verlierer, auf der Seite der normalen Menschen zu mindestens. Viele zu viele Verlierer. Unendlich Narben. Unendlich Leid.

Ein aufwühlender März. Es sind zwei Stücke geworden. Sehr unterschiedlich in der Art. Ich konnte mich nicht entscheiden. Sie stehen beide für diesen Monat. Einer alleine war nicht die Lösung. Also müssen beide gemeinsam für den März stehen. Zu viele Gefühle, um sie in ein Lied zu packen.



Gespielt und aufgenommen am: 12.03.2022

Etüde 22022022

Die Gattung Etüde ist und war stets negativ belegt meinerseits. Da ist immer das graue Czerny Notenbuch im Kopf. Warum es grau war, und nicht schwarz, verstehe ich rückblickend nicht wirklich (czerny = schwarz in tschechisch). Etüden haben, wenn überhaupt, nur kleine Ideen, kleine Fluchten. Kleine Farbklekse im schwarz weissen Alltag. Ansonsten bleiben sie eine Übung. So wie der Februar immer eine Übung ist. Nicht zu verzweifeln, nicht die Hoffnung aufzugeben, die Sonne wird irgendwann den grauen Matsch durchbrechen, das erste Grün wird durchkommen. Das Leben erwacht wieder langsam. Ein anstrengender Monat. Ein Monat des Aushaltens.

Der Februar hat sein Lied zwei Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine bekommen. Etüden sind auch Momentaufnahmen. Vorbei, sobald verklungen. Ich könnte sie nicht wiederholen. Und sie ist, wie sie ist, weil sie anders sein sollte. Und das ist sie geworden. So passt sie dann doch auch zu dem Ende des Monats: zwei Tage später begann ein Krieg in Europa. Ein Krieg, der mir näher ist als die Stadt Freiburg, also rein von der geographischen Distanz. Und auch wenn die Hoffnung existiert, dass der Krieg bald möglichst ein Ende finden mag: was der Krieg im Inneren zerstört hat, wird Generationen überdauern. Und die Fragen, die eine solche Situation aus der Ferne aufwirft, erschlagen einen mit solcher Wucht und Traurigkeit, so dass ich froh war, einer bereits aufgenommen Etüde zuhören zu können. Ordnung in einer Unordnung. Und ein offenes Ende.


Gespielt und aufgenommen am: 22.02.2022